Es geht um Würde - Provenienzforschung ist kein Selbstzweck
14. Okt 2019
Die Ausstellung „Deutscher Kolonialismus: Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart“ (2016-17) im Deutschen Historischen Museum in Berlin und die kommende Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums lenken den Blick auf die kurze, aber besonders grausame Epoche des deutschen Kolonialreiches von der Berliner Afrika-Konferenz 1885 bis zum Ersten Weltkrieg. Doch nicht nur in dieser kurzen Epoche schwärmten deutsche Kolonialbeamte, Museumsbeauftragte, Ethnologen und private Sammler in ehemalige Kolonien aus, um Rituale, Umgangsformen und Lebensweisen der verachteten Kolonialvölker zu dokumentieren, Schädel zu vermessen, und alle möglichen Arten von Alltagsgegenständen und Kunstwerken zu sammeln, systematisch ins Mutterland zu verbringen und zur Schau zu stellen.
Als Resultat dieser historisch einzigartigen Sammelwut befinden sich bis heute bedeutende Afrika-Sammlungen in europäischen Museen. Bis vor kurzem fanden sich Schädel und andere Gebeine von Menschen aus afrikanischen Ländern in europäischen Museumsdepots und als medizinisch-anthropologisches Anschauungsmaterial sogar in deutschen Kliniken. In den letzten Jahrzehnten ist es zwar dank geänderter ethischer Einstellungen zu zahlreichen Rückführungen gekommen, doch noch immer warten zahlreiche Gebeine in Inventurlisten auf ihre Entdeckung und respektvolle Beerdigung in den Herkunftsländern.
Das wachsende Interesse an Kunst und Kultur aus afrikanischen Ländern, die Globalisierung sowie die schnelle Verbreitung von Informationen führen dazu, dass das Thema Rückgabe von kolonialer Raubkunst heute endlich breit diskutiert wird. Die wichtigen Fragen zur Restitutionsdebatte betreffen jedoch nicht allein Kunstwerke im engeren Sinn und nicht allein die Provenienzforschung, die sich der oft komplizierten Fragen von Herkunft und Erwerb der Objekte widmet. Objekte aller Art, von Pfeilspitzen bis zu Kultgegenständen, wurden in den kolonialzeitlichen ethnologischen Kuriositätenkabinetten aus ihren Kontexten herausgerissen und so ihrer Geschichte beraubt. Gleichzeitig war die Überführung von Kunstgegenständen Teil der Ausbeutungsgeschichte der Kolonialvölker, die in der Kolonialzeit ihrer Geschichte und ihrer Identität beraubt wurden.
Bis heute befinden sich ungezählte Objekte dieser Art in europäischen und deutschen Museen. Rückgaben hat es bisher nur in Einzelfällen gegeben. Frankreich hat mit der Rückgabe von 26 Plastiken an Benin 2018 ein wichtiges Zeichen gesetzt. Die Rückgabe der persönlichen Bibel und der Reitpeitsche des Nama-Führers Hendrik Witbooi, die vermutlich 1902 bei der Plünderung seines Krals geraubt wurden und über eine Privatsammlung in das Linden-Museum Stuttgart gekommen waren, ist als eine erste, symbolische Geste von deutscher Seite zu werten. In diesem Fall ging die Rückgabe an den Stamm von Hendrik Witbooi, was schließlich von Seiten des Staates Namibia akzeptiert wurde. Mehr noch als die Rückgabe von Gütern erwarten die Herero und Nama in Namibia eine eindeutige Aufdeckung der gegenüber diesen Völkern im Namen Deutschlands angetanen völkermörderischen Gewalt.
Womit ist es bspw. zu rechtfertigen, dass dem im Bau befindlichen Nationalmuseum in Benin City die wertvollen Benin - Bronzen als vorübergehende Leihgaben zur Verfügung gestellt werden sollen anstatt sie dauerhaft zurückzugeben? Dem Anspruch eines gleichberechtigten Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft, einem neuen Verhältnis zwischen Afrikanerinnen und Europäern auf Augenhöhe steht diese Herangehensweise im Weg.
Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ plädiert in Hinblick auf den Umgang mit kolonialen Sammlungen für die Umkehrung der Beweislast; d.h. dass ein Objekt als unrechtmäßig erworben gelten sollte, bis das Gegenteil erwiesen ist. Die umgekehrte, heute allgemein übliche Annahme, alles sei rechtmäßig erworben, bis das Gegenteil erwiesen ist, schreibt „die koloniale Rechtfertigungslehre fort“, so Zimmerer, zumal „die Dokumentation der Kunstwerke fast vollständig aus der Feder der Kolonisierenden stammt“. Zu einem neuen Umgang mit unserer kolonialen Vergangenheit gehört es unabdingbar, Afrikaner*innen die Entscheidung zu überlassen, in welcher Art und Weise sie ihre Kunstwerke dokumentieren und ausstellen wollen.
Die Aufarbeitung des deutschen und europäischen Kolonialismus ist noch lange nicht abgeschlossen.
Links zum Weiterlesen:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/kolonialismus-postkolonialismus-humboldt-forum-raubkunst-1.4334846
https://www.deutschlandfunk.de/philosophie-und-gesellschaft-subsahara-afrikas.1184.de.html?dram:article_id=438557
https://www.tagesspiegel.de/kultur/benedicte-savoy-und-felwine-sarr-europa-ist-auf-einem-auge-blind/23874606.html
https://www.deutschlandfunkkultur.de/kritik-am-umgang-mit-raubkunst-aus-afrika-wie-immer-geben.1013.de.html?dram:article_id=437621
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/soll-man-die-ethnologischen-museen-raeumen-15931937.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2